Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
MARIANNE FAITHFULL - live in der Zitadelle Spandau
25.07.09
Von
manchem
Künstler
braucht
man
nur
den
Namen
zu
hören
oder
zu
lesen
und
schon
tun
sich
vor
dem
geistigen
Auge
und
Ohr
Bilder,
Melodien
und
Geschichten
auf.
Oftmals
haben
sie
sogar
eine
enge
Beziehung
zum
eigenen
Leben
und
deshalb
fallen
einem
auch
sofort
ganz
bestimmte
Episoden
oder
Zusammenhänge
ein,
auch
wenn
sie
Jahre
oder
gar
Jahrzehnte in der eigenen Biografie zurück liegen.
Mir
geht
es
unter
anderem
bei
MARIANNE
FAITHFULL
so.
Ich
sehe
sofort
das
blonde
bildhübsche
Mädchen
und
höre
„As
Tears
Go
By“,
allerdings
auch
gleich
die
Version
der
Rolling
Stones.
Die
eine
mit
„Unschuldsstimme“
gesungen
und
die
andere
vielleicht
so,
wie
sie
gemeint
war.
Beide
haben
ihren
ganz
besonderen
Reiz
und
haben
den
Flair
einer
ganz
besonderen
Zeit:
den
der
„wilden
60er“
mit
ihren
genialen
Musikschöpfungen
für
die
Ewigkeit,
die
Zeit,
die
ich
meine
Jugend
nennen
darf.
Mein
Lieblingssong
von
Marianne
allerdings
war
„Come
And
Stay
With
Me“
und
das
Mädchengesicht
vor
meinem
geistigen
Auge
ist
nicht
das
der
Sängerin
und
auch
nicht
blond.
Das
schöne
an
solch
unvergänglichen
Melodien
ist,
dass
sie
einem
genug
Freiraum
lassen,
sie
zu
interpretieren,
mit
eigenen
Erinnerungen
zu
verknüpfen und die Gedanken frei fliegen zu lassen.
Nach
all
den
Irrungen,
Höhen
und
Tiefen
des
Business,
die
diese
Frau
durchlebte,
durchlitten
und
überlebt
hat,
hab’
ich
mich
besonders
über
das
Comeback
1979
und
ihr
Album
„Broken
English“
gefreut.
Eine
gereifte,
rauchige,
zuweilen
auch
kantige
Stimme
singt
sich
ihre
Schmerzen
und
bitteren
Erfahrungen
von
der
Seele
und
weil
ganz
offensichtlich
eine
LP
dafür
nicht
gereicht
hat,
schiebt
sie
1981
auch
noch
„Dangerous
Acquaintances“
hinterher.
Die
Musik
beider
Platten
ist
von
so
überragender
Qualität,
die
Songs
so
persönlich
und
ehrlich,
dass
man
noch
heute
davor
getrost
eine
Verbeugung
machen
kann.
Die
Spitze
von
irgendwelchen
Chartnotierungen
hat
die
FAITHFULL
nicht
im
Visier,
wohl
aber
die Herzen und Sinne ihrer Hörer.
MARIANNE
FAITHFULL
ist
auf
Tour
und
irgendwie
beschleicht
mich
das
Gefühl,
dass
dies
so
oft
nicht
mehr
geschehen
wird.
Ich
gebe
zu,
ich
fahre
nicht
gern
nach
Berlin.
Dieser
großstädtischen
Lebensgeschwindigkeit
und
manch
aufgesetzter
Moderne
will
ich
nicht
gewachsen
sein.
Die
Gewissheit
und
Aussicht
aber,
einer
vertrauten
Stimme
zu
begegnen,
ließ
mich
dennoch
in
diesen
Großstadtmoloch
eintauchen.
Fast
kam
es
mir
so
vor,
als
würde
der
mich
einfach nur aufsaugen wollen, but my car is my castle!
Die
Spandauer
Zitadelle
ist
idyllisch
mitten
in
einem
See
der
Hafel
am
westlichen
Berliner
Stadtrand
gelegen.
Über
eine
Holzbrücke
gelangt
man
in
den
Innenhof.
In
der
dritten
Reihe
direkt
vor
der
Bühne
finden
wir
mit
viel
Glück
noch
ein
freies
Plätzchen.
Wir
pusten
die
Wolken
weg
und
lassen
die
Musik
von
den
„Les
Hommes
Sauvages“
(Die
Wilden
Menschen)
-
eine
Chuck
Berry-Gitarre
im
Mix
mit
deutschen,
französischen
und
englischen
Songs
-
über
uns
streichen.
In
kleinen
Klubs
mag
diese
Musik
faszinieren,
auf
der
großen
Bühne
wirkt
sie
ein
wenig
verloren,
passt
aber
gut
zu
dem, was von den locker 3000 Besuchern mit großer Spannung erwartet wird.
Dann
steht
sie
also
mit
ihrer
Band,
die
Ikone
der
1960er,
ein
weiblicher
Mythos,
ganz
in
Schwarz
und
blonden
Haaren:
MARIANNE
FAITHFULL.
Vom
ersten
Augenblick
an
habe
ich
das
Gefühl,
die
bräuchte
nur
dort
oben
zu
stehen,
zu
lächeln
und
man
hätte
genug,
um
Geschichten
zu
erzählen.
Dieses
Charisma
ist
unbeschreiblich!
Sie
steht
allein
vor
dem
Mikro,
nahezu
unbeweglich
mit
fast
zögerlichen
Gesten,
die
mich
für
einen
Bruchteil
einer
Sekunde
eher
an
eine
von
Tausenden
denken
lässt,
denen
Du
auch
in
einer
Kaufhalle
begegnen
könntest,
statt
sie
auf
einer
Weltbühne
zu
vermuten.
Sie
wirkt
schüchtern,
den
Blick
über
die
Massen
gerichtet
und
dann
plötzlich
singt
sie
und
du
vernimmst
die
kantig weiche Stimme eines weiblichen Gottes.
Zu
Beginn
sind
es
die
Songs
aus
dem
aktuellen
Album
„Easy
Come
Easy
Go“,
alles
Cover-Versionen,
die
irgendwie
für
die
FAITHFULL
stehen
können.
Vor
allem
die
Interpretation
von
Dolly
Pardon’s
„Down
From
Dover“,
die
sie
an
den
Anfang
stellt,
ist
wohl
auch
mehr
als
symbolhaft
für
die
vom
Leben
geprügelte
Stehauffrau.
Sie
haucht
dem
Song
ein
anderes,
neues
Leben
ein
und
macht
das
gleiche
auch
mit
„The
Crane
Wife
3“
und
Duke
Ellington’s
„Solitude“.
Sie
leiht
sich
den
Jazz
und
zelebriert
damit
Rock’n’Roll
in
seiner
intimsten
Spielart
und
das
alles
auf
einer
nahezu
leeren
Bühne
und mit einer Licht-Show, die gar keine ist. Grandios und ikonisch zugleich.
Sie
kündigt
einen
Song
an,
„I’ve
written
in
1977
near
the
Berlin
Wall“
und
dann
jagt
sie
„Broken
English“
in
den
Abendhimmel.
Spätestens
jetzt
kocht
das
Areal
und
die
ersten
älteren
Ladies
mit
Schottischem
Akzent
versuchen,
die
Bühne
tanzend
zu
entern.
Das
geht
natürlich
beim
folgenden
„In
Germany
Before
The
War“
mit
einem
Mackie
Messer-
Intro
aus
Brecht’s
Dreigroschenoper
überhaupt
nicht
mehr!
Fast
entschuldigend
schiebt
sie
hinterher,
dass
dies
eines
ihrer
neuen
Lieblingslieder
sei
und
sie
gern
in
Deutschland
weilt.
Wieder
tosende
Ovationen.
Die
FAITHFULL
dirigiert
jeden
einzelnen
mit
einem
Lächeln,
einem
Winken
oder
einem
Fingerzeig
und
schafft
dies
alles
ohne
aufgesetzte
Mätzchen und völlig frei von Allüren oder Posen.
Viele
internationale
Stars
spielen
ihre
großen
Hits
zum
Ausklang
ihrer
Konzerte.
Bei
der
FAITHFULL
kommt
„Broken
English“
als
Nummer
6
und
„The
Ballad
Of
Lucy
Jordan“
sowie
„Sister
Mophine“,
das
sie
einst
als
Dank
für
„As
Tears
Go
By“
den
Stones
schenkte,
versteckt
sie
mit
kurzer
Ansage
mitten
im
Konzert,
irgendwo
zwischen
„Kimbie“
und
„Dear
God
Please
Help
Me“
vom
neuen
Doppel-Vinyl.
Das
ist
wahre
Größe!
Selbst
die
Melodie
von
Jagger/Richards,
mit
der
einst
alles
begann,
streut
sie
scheinbar
nebensächlich
als
Farbtupfer
ein.
„As
Tears
Go
By“
und
„Sister
Morphine“
haben
mit
den
Jahren
eine
erstaunliche
Erneuerung
durchlebt,
sind
dank
neuer
Musiker
rockiger
geworden
und
suchen
die
Nähe zu einem Hauch von Jazz. Da passt der Spruch vom alten Wein, der mit den Jahren immer besser wird.
Sie
will
kein
Weltstar
sein,
ist
aber
einer.
Ihre
Musik
ist
inzwischen
ein
Crossover
populärer
Musikstile
vom
Jazz,
über
Swing
und
Pop
bis
zum
blanken
Rock’n’Roll.
Sie
scheut
nicht
die
Chansonette,
nicht
die
Diva,
nicht
das
Weib
und
präsentiert
ihr
musikalisches
Leben
in
einer
Zurückhaltung,
als
wolle
sie
sich
dafür
entschuldigen.
So
wirkt
sie
einfach
nur sympathisch.
Gegen
Ende
hält
es,
dank
einer
sehr
dezent
und
freundlich
agierenden
Security,
keinen
mehr
auf
den
Sitzplätzen.
Vor
der
Bühne
wird
getanzt
und
die
Schotten
beweisen
ihre
Textsicherheit.
Ich
selbst
finde
mich
direkt
vor
der
vielleicht
zwei
Meter
hohem
Rampe
wieder
und
sehe
der
blonden
Lady
fasziniert
direkt
in
ihre
blauen
Augen.
Die
blitzen
und
strahlen,
wirken
noch
immer
mädchenhaft
und
schüchtern,
während
sie
uns
hier
unten
ihr
„Why
D’Ya
Do
It“
entgegen
schleudert
-
kraftvoll,
rotzig
und
noch
immer
auch
störrisch.
Diese
Augenblicke
von
gemeinsamer
Power
und
intimer
Nähe
kann
auch
der
einsetzende
Regen
nicht
mehr
verwässern.
Der
Eindruck,
eine
Grande
Dame
zu
erleben
und
einem
Leben
zwischen
kokainversumpften
Abgründen
und
weltfraulicher
Gelassenheit,
ganz
und
gar
„ungefährlich“
zu
begegnen, ist bleibend und berührt mich in diesen Momenten unendlich tief.
Während
ich
über
die
nächtliche
Autobahn
nach
Hause
jage,
sind
meine
Gedanken
bei
unseren
Kindern,
Claudia
und
Michael,
die
uns
diese
unvergesslichen
Augenblicke
geschenkt
haben.
Ich
bin
dankbar,
ab
und
an
noch
einmal
meiner
Jugend
für
den
Moment
einiger
Songs
über
den
Weg
laufen
zu
können,
den
Blick
von
Idolen
zu
erhaschen,
die
das
Denken
einer
ganzen
Generation,
also
auch
meines,
geformt
und
gelenkt
haben.
Dies
sind
die
Momente,
nach
denen
Faust
einst
vergeblich
suchte,
von
denen
mir
geade
einer
geschenkt
wurde.
Also
darf
ich
auch
sagen,
dass
ich
sehr
glücklich bin. DANKE MARIANNE FAITHFULL:
It is the evening of the day
I sit and watch the children play
Doing things I used to do
They think are new
I sit and watch this tears go by
(“As Tears Go By”, Jagger/Richards, 1964)